Spitze mit Super-Sox
Ein Artikel aus dem carl 03|2025
von Karin Hollricher
Ein Forscherteam verbesserte die Kooperation zweier Transkriptionsfaktoren so, dass sich nun induzierte pluripotente Stammzellen besonders hoher Qualität herstellen lassen. Damit eröffnen sich neue Wege für die Forschung, für die Entwicklung von Therapien und sogar für den Erhalt bedrohter Tierarten.
Vor knapp 20 Jahren entdeckten japanische Forscher, dass sich ausdifferenzierte Zellen von Mäusen mithilfe der vier Transkriptionsfaktoren Oct4, Sox2, Klf4 und Myc zurück in einen stammzellenähnlichen Zustand bringen lassen [1]. Diese Molekülmixtur – nach dem Japaner Shinya Yamanaka als Yamanaka-Cocktail benannt – wird seither in modifizierter Form zur Herstellung induzierter pluripotenter Stammzellen eingesetzt. Aus diesen iPS-Zellen (iPSCs) lassen sich dann verschiedene Zelltypen wie Nervenzellen oder Herzmuskelzellen herstellen. Obwohl vielfach verbessert, ist das Prozedere vor allem mit humanen Zellen wenig effizient: Qualität und Quantität der iPSCs schwanken sehr, einige iPS-Zelllinien lassen sich zu jeder Art Körperzelle differenzieren, andere versagen völlig.
Ein Problem ist Oct4. Dieses Molekül sei wie ein wilder Hund, meint Hans Schöler vom Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Biomedizin in Münster [2]. Im Alleingang schaltet es Gene an, die verhindern, dass die Zellen pluripotent werden. Man begab sich daher auf die Suche nach einer Möglichkeit, Oct4 „an die kurze Leine“ zu nehmen. Forschende mehrerer Universitäten und Institute, darunter das MPI in Münster, waren dabei erfolgreich. Sie entwickelten das Super-SOX-Molekül,. das die Qualität von iPS-Zellen drastisch verbessert [3].
So funktioniert Super-SOX
Das Duo, bestehend aus den beiden Komponenten Oct4 und Sox2, ist der Masterregulator, der für die Herstellung von iPS-Zellen unverzichtbar ist. Beide Moleküle binden zwar auch einzeln an DNA, damit aber aus differenzierten Körperzellen wieder pluripotente Stammzellen werden, müssen die zwei Moleküle kooperieren. Nur gemeinsam, als Heterodimer, können sie das Chromatin ausdifferenzierter Zellen in einen quasi embryonalen Zustand versetzen, in dem zuvor stillgelegte Gene wieder aktiv sind. Die Kooperation der beiden Moleküle wird über Kontakte zwischen deren DNA-Bindungsdomänen hergestellt [2] (siehe Abbildung). Sox2 bindet dabei zwar schwächer an Oct4 als der sehr ähnliche Faktor Sox17, dieser allerdings kann Zellen nicht pluripotent machen. .Es stellte sich heraus, dass für die bessere Bindung von Sox17 an Oct4 nur eine einzige Aminosäure verantwortlich ist: die an Position 61. Tauscht man in Sox2 an dieser Position das Alanin gegen ein Valin aus, setzt dort also die Aminosäure aus Sox17 ein, erhält man einen stark bindenden und hocheffizienten Faktor – das Super-SOX-Molekül [3].
Dieses Super-SOX nimmt Oct4 tatsächlich „an die kurze Leine“, indem es sich fester an Oct4 bindet und so verhindert, dass Oct4 diejenigen Gene aktiviert, die die Umprogrammierung stören. Gleichzeitig verfügt Super-SOX über die Sox2-Fähigkeit, Pluripotenz zu erzeugen. Dies funktioniert nicht nur mit Zellen von Mäusen und Menschen, sondern auch mit solchen von Schweinen, Rindern und Javaneraffen. Die zentrale Rolle des Sox2-/Oct4-Dimers bei der Pluripotenz scheine in allen Säugetieren konserviert zu sein, meint der Stammzellforscher Sergiy Velychko, Senior-Autor der Studie. Durch rationales Engineering und gezielte Evolution könnten möglicherweise noch effizientere Reprogrammierungsfaktoren entwickelt werden, schreiben die Forschenden in ihrem Bericht [3].
Neue Optionen
Die verbesserte Umwandlungseffizienz von differenzierten Körperzellen zu pluripotenten Stammzellen wird nicht nur klinische Anwendungen erleichtern, sondern auch die Gewinnung von iPS-Zellen bedrohter Tierarten ermöglichen. Solche Zellen könnten beispielsweise als eine „Stammzell-Arche-Noah“ gelagert und zum Erhalt der Arten genutzt werden. In einer Pressemitteilung des MPI erklärt Schöler: „Viele Fragen sind in diesem Zusammenhang noch offen, und es bedarf einer guten interdisziplinären Zusammenarbeit, um die durch diese Arbeit geschaffenen Möglichkeiten effektiv und sicher in die Praxis überführen zu können.“ [2]
Glossar
Ein Heterodimer ist ein Komplex aus zwei unterschiedlichen Molekülen.
[1] K. Takahashi und S. Yamanaka, 2006, Cell 126, 633-676
[2] www.mpi-muenster.mpg.de/pressemitteilung/super-sox
[3] C. MacCarthy et al., 2024, Cell Stem Cell 31, 127-147
Bildnachweise: © Vlad Cojocaru, Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin
Ein Artikel aus dem carl 03|2025